Ein Interview mit Familiencoach Monika Reetz

Valeo-kids.de: Frau Reetz, Sie sind Coach für Familienresilienz. Was genau ist das, Familienresilienz?

Monika Reetz: Der Begriff „Resilienz“, der die Widerstandsfähigkeit jedes Einzelnen im Umgang mit Krisen oder Herausforderungen beschreibt, wird in dem Begriff „Familienresilienz“ erweitert auf das System Familie. Innerhalb dieses Systems gibt es Kompetenzen, Ressourcen, Werte oder Haltungen die allen Mitgliedern helfen können, Krisen gemeinsam zu überstehen. Kompetenzen sind z.B. die wertschätzende Kommunikation oder Empathie: Wenn Kinder erleben, dass ihnen auch in Konflikten mit Wertschätzung und Verständnis begegnet wird, stärkt sie das. Starke Kinder wiederum, und nun wird es interessant, können eine Quelle der Freude und damit der Kraft für Eltern sein. Damit meine ich nicht, dass Eltern dann an diese Kraft „andocken“ können, doch es kann durchaus entlastend sein mitzuerleben, dass das Kind sich etwas zutraut oder einen entspannten Weg durch die Schulzeit findet. Alle Familienmitglieder haben einen Zugang zu ihrer eigenen Resilienz, zu ihren Lebenskräften, und diese bringen sie ein in das System Familie. Wenn diese einen achtsamen, respektvollen, empathischen, liebevollen Umgang pflegt, stärkt das jede/n Einzelne/n und hilft, Krisen und Herausforderungen besser zu meistern.

Kurz gesagt: Bei Familienresilienz geht es um die psychische Widerstandsfähigkeit und Stärke von Familien.

Valeo-kids.de: Durch Corona leben wir seit mehr als einem halben Jahr im Krisenmodus. Seit Anfang November befinden wir uns in einem zweiten, kleineren Lockdown. Mit welchen Schwierigkeiten und Problemen haben Familien jetzt zu kämpfen?

Monika Reetz: Vor allem damit, dass auch für die Kinder und Jugendlichen viele Freizeit- und Hobbyangebote (Sport/Kino etc.) wegfallen. Damit werden auch Kontaktmöglichkeiten im außerschulischen Bereich eingeschränkt. Zudem gibt es wieder Unsicherheit bzgl. der Fragen: Was geht überhaupt noch? Wen kann ich treffen? Kinder und Jugendliche benötigen Begegnungen mit Gleichaltrigen, mit ihren Peergroup. Das gibt ihnen Halt, Orientierung, Kraft und Lebensfreude… und diese wird derzeit beschnitten. Dazu kommt es nun auch schon regelmäßig vor, dass ganze Schulklassen für eine Weile in Quarantäne gehen müssen; darauf müssen Eltern dann wieder flexibel reagieren und die Betreuung organisieren.

Valeo-kids.de: Wie können Eltern jetzt dafür sorgen, dass ihre Familie trotzdem stark bleibt oder stark wird?

Monkia Reetz: Ganz wichtig finde ich zunächst, ein offenes Ohr für die Kinder zu haben, möglichst empathisch auf ihre Sorgen, ihre Wut zu reagieren. Dadurch kann eventuell auch die Akzeptanz der Situation unterstützt werden. Gemeinsam kann die Familie überlegen, was noch möglich ist, also lösungsorientiert nach Wegen suchen, die Zeit gemeinsam und sinnvoll zu füllen. Natürlich ist das eine große Herausforderung und im November schwieriger als in der Energie des Frühlings. Doch jahreszeiten-typische Aktionen gibt es auch jetzt: Drachen steigen lassen, mit Laternen durch die Dunkelheit laufen, ein Regenspaziergang mit warmem Kakao zum Abschluss, Spieleabende bei Kerzenschein… In einer Art Familienkonferenz könnten solche Ideen gesammelt werden um zu signalisieren: Wir bleiben aktiv, wir halten zusammen, wir stärken uns gegenseitg, indem wir gemeinsam Dinge tun, die Freude bereiten.

Valeo-kids.de: Viele Eltern haben selbst konkrete oder diffuse Sorgen und Ängste. Wie können sie ihren Kindern trotzdem Sicherheit geben?

Monika Reetz: Eltern sollten ihre eigenen Sorgen oder Ängste möglichst miteinander oder mit Freunden teilen. Den Kindern gegenüber ist eine Haltung der grundsätzlichen Zuversicht wichtig, der grundsätzlich optimistische Blick nach vorne. Das bedeutet nicht, den Kindern „heile Welt“ vorzugaukeln, doch ich finde es wichtig, dass Eltern aus ihrer Verantwortung heraus nicht in einen „Krisenmodus“ verfallen. Dazu ist es wichtig, dass Eltern selbst auf ihre eigenen Kraftquellen achten: Ein Spaziergang alleine, ein gutes Buch, ein Telefonat mit einer Freundin, all das kann Kraft geben, die es uns ermöglicht, für die Kinder da zu sein. Je nach Alter könnten ggf. auch Gespräche angestoßen werden darüber, wie man mit Krisen umgehen kann, welche Krisen die eigenen Großeltern und Urgroßeltern vielleicht erlebt haben, wie die Lage in anderen Ländern derzeit ist. Das kann den Blick auf die derzeitige Situation verändern und ermöglichen, ein wenig innere Distanz dazu zu bekommen.

Valeo-kids.de: Haben Sie noch ein paar Tipps für das kommende Weihnachtsfest unter Corona-Bedingungen?

Monika Reetz: Vielleicht ist es in diesem Jahr wirklich wichtig, dass wir uns zu Beginn der Adventszeit bereits Gedanken dazu machen und gemeinsam planen. Einige Randbedingungen (Kontaktbeschränkungen) können wir derzeit noch nicht absehen und müssen gewiss flexibel darauf reagieren. Doch das Wichtigste scheint mir die Frage zu sein: Wie sieht in der gegebenen Situation ein Weihnachtsfest aus, mit dem es uns allen möglichst gut geht?

Valeo-kids.de: Vielen Dank, Frau Reetz, für die wertvollen Informationen.

Zur Person: Monika Reetz ist verheiratet und hat zwei Töchter im Jugendalter. Nach über 20 Jahren Tätigkeit als Grundschullehrerin absolvierte sie nach einem Sabbatjahr eine Coachingausbildung und trat aus dem Beamtentum aus, um sich selbständig zu machen. Seit 2018 betreibt sie ihre eigene Coachingpraxis als systemische Paar- und Familientherapeutin. Sie arbeitet mit Eltern, pädagogischen Teams (z.B. Kindergärten) und mit Lehrer*innen. Zudem ist sie weiterhin als Religionslehrerin an einer Grundschule tätig. Monika Reetz hat sich in ihrer Beratungspraxis auf Familienresilienz spezialisiert.
Unter folgendem Link erfährst Du mehr: www.monika-reetz.de